Industrie 4.0

Die deutschlandweite Online-Landkarte „Industrie 4.0“ der Plattform Industrie 4.0 ist online. Auch das Verbundprojekt myJoghurt des Lehrstuhls für Automatisierung und Informationssysteme ist eines von rund 200 Beispielen aus der Industrie 4.0-Praxis, die auf der Online-Landkarte der Plattform Industrie 4.0 präsentiert werden. Erstmals vorgestellt wurde sie von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gemeinsam mit weiteren Leitungsmitgliedern am 19. November im Rahmen des Nationalen IT-Gipfel in Berlin.

„Deutschland ist international führend in der Umsetzung von Industrie 4.0. Mit der Plattform Industrie 4.0 konnten hier bereits wichtige Impulse gesetzt werden. Klar ist aber auch, dass wir weitere Schritte brauchen und vor allem kleine und mittlere Unternehmen auf diesen Weg mitnehmen und begleiten müssen, damit auch der Mittelstand einen koordinierten Zugang zu den neuen Technologien erhält. Ein Umdenken anstoßen, inspirieren und Hilfestellung leisten – das ist es, was die Plattform Industrie 4.0 leisten soll, um Unternehmen in ganz Deutschland auf ihrem Weg durch die vierte industrielle Revolution zu begleiten. Ergebnisse und Empfehlungen der Plattform aber auch die Übersicht über Anwendungsbeispiele und Testumgebungen sollen daher mit der neuen Online-Karte illustriert werden und helfen, diesen Weg gemeinsam erfolgreich zu gehen“, so Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Auf dem Nationalen IT-Gipfel in Berlin stellte er am 19. November 2015 gemeinsam mit Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka und Siemens-Vorstand Prof. Dr. Siegfried Russwurm die virtuelle Landkarte vor (www.plattform-i40.de/I40/Landkarte).

Der Lehrstuhl für Automatisierung und Informationssysteme geht in Kooperation mit anderen deutschen Forschungseinrichtungen im Bereich Industrie 4.0 mit gutem Beispiel voran. Mit der prototypischen Umsetzung eines Netzwerks von Cyber-Physischen Produktionssystemen (CPPS) zeigt er die Möglichkeiten einer Umsetzung von Industrie 4.0 auf und unterstützt so deutsche Unternehmen aus verschiedenen Branchen dabei, die Potenziale von Industrie 4.0 zu erkennen und auf die eigene Praxis zu übertragen. Damit zählt myJoghurt zu einem von rund 200 Beispielen aus der Industrie 4.0-Praxis, die auf der deutschlandweiten Online-Landkarte der Plattform Industrie 4.0 präsentiert werden. Ziel ist es, den Nutzen der Digitalisierung für den Anwender im industriellen Kontext in den Vordergrund zu stellen. Die Plattform Industrie 4.0 hatte alle Teilnehmer dazu aufgerufen, Anwendungsbeispiele aus der Umsetzung von Industrie 4.0 zur Verfügung zu stellen und diese dann katalogisiert.

Der Demonstrator myJoghurt zeigt die gemeinsam mit verschiedenen deutschen Forschungsstellen der Gruppe Theorie und Lehre in der Automatisierungstechnik (TuLAut) entwickelte prototypische Umsetzung einer Architektur für Cyber-Physische Produktionssysteme, die auf der Technologie der Softwareagenten beruht. Lokal voneinander getrennte Produktionssysteme sind in myJoghurt, auch über die Grenzen einzelner produzierender Unternehmen und Zulieferer hinweg, miteinander vernetzt und in der Lage, einen optimierten, verteilten Produktionsprozess zu realisieren. Bewährte Kommunikationsprotokolle ermöglichen auch die durchgängige vertikale Vernetzung von Maschinen auf der Feldebene einer Anlage, sodass auch auf dieser Ebene dynamisch Anpassungen an aktuelle Bedarfe und Anforderungen durchgeführt werden können. Dabei können auch Plattformen wie Robotersteuerungen eingebunden werden. Die Weiterentwicklung des Demonstrators erfolgt derzeit im Fachausschuss 5.15 „Agentensysteme“ der Gesellschaft für Mess- und Automatisierungstechnik (GMA) und ist für weitere Teilnehmer und Beiträge zum Demonstrator offen.

„Wir freuen uns, dass der Industrie 4.0 Demonstrator myJoghurt auf der Online-Landkarte der Plattform Industrie 4.0 vertreten ist und wir zu den Forschungseinrichtungen gehören, die gemeinsam mit vielen anderen Instituten und Unternehmen den digitalen Wandel der Industrie in Deutschland gestalten und vorantreiben“ so Prof. Dr.-Ing. Birgit Vogel-Heuser.

Unternehmen erhalten auf www.plattform-i40.de konkrete Einblicke in die Welt der Industrie 4.0 – und Impulse für ihren eigenen Weg in eine digitalisierte Produktion.

Auf dieser Website können Sie einen Überblick über die Konzepte und Arbeiten des Lehrstuhls für Automatisierung und Informationssysteme der Technischen Universität München hin zur Industrie 4.0 gewinnen. Der I4.0 Demonstrator myJoghurt bietet Ihnen die Möglichkeit, an unserem Forschungsdemonstrator mitzuwirken und selber Konzepte der Industrie 4.0 zu erproben. In dem nachfolgenden Video sehen Sie eine Demonstration des I4.0-Konzepts auf der AUTOMATICA.

Durch den aus der Globalisierung resultierenden zunehmenden Wettbewerb wird an die produzierende Industrie, insbesondere den Maschinen- und Anlagenbau, im Rahmen der Industrie 4.0 eine Reihe an Anforderungen gestellt:

  • Immer höherer Variantenreichtum erfordert Mechanismen diesen zu beherrschen. Vorhandenes Wissen und vorhandene Ressourcen sind – soweit effizient machbar – zu nutzen und Mehrfachentwicklungen zu vermeiden (Re-invent the wheel).
  • Reduzierung des Time-to-market: Kunden akzeptieren immer seltener lange Wartezeiten. Dies macht eine effiziente Entwicklung und Produktion in Wertschöpfungsketten über Unternehmensgrenzen hinweg notwendig.
  • „[Die] Lebenszyklen der Produkte werden durch steigende Innovationsgeschwindigkeit immer kürzer, so dass effizientes und flexibles Umrüsten von Produktionsmitteln und Produktionsanlagen auf neue Produktvarianten ebenso wie die Anpassung der Intralogistik im Unternehmen und der Logistik zwischen den Unternehmen erfolgskritisch wird“ (Vogel-Heuser et al. 2012).

Daher sind Lösungsansätze notwendig, die großen Spielraum für Produktvarianten und Produktionsvarianten schaffen. Der weltweite Zugriff auf Ressourcen und bisher unbekannte Produktionseinheiten ermöglicht eine weitere Flexibilisierung der Wertschöpfungsketten auch über Unternehmensgrenzen hinweg (Vogel-Heuser et al. 2012).

Geprägt durch den technischen Wandel stehen in der produzierenden Industrie immer größere Datenmengen aufgrund intelligenter Sensoren zur Verfügung. Diese Daten enthalten Wissen und zusätzliche Erkenntnisse über die Produktionsprozesse und stellen somit die Grundlage für Flexibilisierung und Wiederverwendung dar. Die zunehmende Vernetzung dieser Daten ermöglicht eine effizientere Ausgestaltung der Wertschöpfungsketten.

 

In Deutschland ist das Internet der Dinge insbesondere von der Logistik als Ansatz zur informationstechnischen Integration von Logistikketten und Produktionsketten auf Basis des Internets erkannt worden. In den USA wurden die Cyber Physical Systems (CPS) proklamiert und in Deutschland durch die Agenda CPS grundlegend erforscht.

Für den Bereich der Produktion entstand als letzter dieser Begriffe Industrie 4.0. Darin werden CPS u.a. als Technologie zur Ertüchtigung der Produktion für Industrie 4.0 angesehen. In diesem Ansatz wird aus der informationstechnischen Vernetzung aller Informationsquellen und Senken zusätzliches Wissen erfasst.

Noch herrscht Uneinigkeit darüber, ob Industrie 4.0 tatsächlich eine revolutionäre Entwicklung darstellt, oder ob es sich stattdessen um einen evolutionären technischen Wandel handeln wird. Der mögliche disruptive Charakter von Industrie 4.0 wird aufgrund der plötzlich verfügbaren Zugänglichkeit aller Daten prognostiziert. Aufgrund der hohen Anzahl laufender Produktionsanlagen und deren Langlebigkeit von häufig über 15 Jahren, wird sich dieser Wandel für eine Vielzahl der Anlagen erst mit einer zeitlichen Verzögerung zeigen.

Für Produktionseinheiten, die nach Industrie 4.0 bereits realisiert sind, wird der Begriff Cyber Physical Production System (CPPS) verwendet. Die acatech Studie AgendaCPS von 2012 (acatech 2011) definiert Cyber-Physical Systems – die Basis für Industrie 4.0 – als eingebettete Systeme, die:

  • mittels Sensoren unmittelbar physikalische Daten erfassen und mittels Aktoren auf physikalische Vorgänge einwirken
  • Daten auswerten und speichern sowie auf dieser Grundlage aktiv oder reaktiv mit der physikalischen und der digitalen Welt interagieren
  • mittels digitaler Netze untereinander verbunden sind, und zwar sowohl drahtlos als auch drahtgebunden, sowohl lokal als auch global
  • weltweit verfügbare Daten und Dienste nutzen
  • über eine Reihe multimodaler Mensch-Maschine-Schnittstellen verfügen. Sie stellen eine Reihe dedizierter Möglichkeiten zur Kommunikation und Steuerung bereit, zum Beispiel durch Sprache und Gesten.

Die wesentlichen technischen Merkmale von CPPS werden in vier Unterbereiche zusammengefasst.

Architekturmodelle: Für die Integration heterogener Anlagen und Geräte sind Serviceorientierte Architekturen (Cândido et al. 2011) bzw. Multi-Agenten Systeme (Colombo et al. 2006), welche mittels Botschaften flexibel untereinander Informationen austauschen können, geeignete Lösungsansätze, die eine minimale Standardisierung erfordern. Softwareagenten repräsentieren die Funktionalität der Maschinen und können über unterschiedliche und proprietäre Schnittstellen verfügen: ideal für die Migration von bestehenden Anlagen.

Kommunikation und Datendurchgängigkeit: Für Industrie 4.0 ist die Kopplung der Daten aus Engineeringsystemen, Laufzeitsystemen sowie übergeordneten IT-Systemen eine Voraussetzung, um flexibel auf Änderungen im Produktionsprozess aber auch in der Ablösung von IT-Systemen reagieren zu können. Themen wie OPC-UA, AutomationML und die semantische Beschreibungen sind die Basis.

Intelligente Produkte und adaptive intelligente Produktionseinheiten: Basierend auf der Produkt-Konfiguration eines Kunden stellen die CPPS-Produktionseinheiten unter Berücksichtigung von Produkteigenschaften, Kosten, Sicherheit, Zuverlässigkeit, Effizienz, Zeit, Nachhaltigkeit u.a.m. einen Produktionsablauf zusammen und sorgen für die Herstellung des Produkts. Tritt Anpassungsbedarf auf, tauschen die Produktionseinheiten sich eigenständig aus, passen sich an oder entwickeln sich entsprechend des Anpassungsbedarfs weiter.

Informationsaggregation und -aufbereitung für den Menschen: Selbst wenn alle Daten integriert vorhanden sind, ist die wesentliche Herausforderung diese dem Menschen, abhängig von seine individuellen Fähigkeiten und Vorlieben für seine Arbeitsaufgabe und Rolle, in geeigneter Form zur Verfügung zu stellen.