Motion Cueing Algorithmen für die Fahrsimulation

Fahrsimulation

 

Immer mehr Automobilhersteller verfügen über eigene Fahrsimulatoren, die sie stetig weiterentwickeln und verbessern. Sie sollen dem Fahrer ermöglichen, in eine virtuelle Umgebung einzutauchen und Autofahrten realitätsnah zu simulieren.

 

Dazu gehört ein Grafiksystem, das die visuellen Eindrücke dem Fahrer mittels Computergrafik vermittelt und aus bilderzeugenden Projektoren, Leinwänden sowie leistungsstarken Grafikrechnern besteht. Für die Darstellung der Bewegung sind Stellsysteme erforderlich, wie die in Flugsimulatoren und Fahrsimulatoren verwendeten Stewart-Gough Bewegungssysteme. Diese Parallelkinematiken bestehen aus sechs hydraulischen oder elektromagnetischen Linearaktoren, die eine fest verankerte Grundplatte mit einer beweglichen Plattform verbinden. Der Vorteil eines solchen Systems ist die Fähigkeit in allen 6 Freiheitsgraden der Translation und der Rotation Bewegungen auszuführen. Bewegt wird dabei die obere Plattform, auf der das Mockup, die Nachbildung eines Fahrzeuginnenraums, montiert ist. Darin befindet sich der Fahrer, der über Lenkrad, Gas und Bremspedal das Fahrzeug innerhalb der simulierten Umgebung steuert.

 

Im Gegensatz zur Flugsimulation steht bei der Fahrsimulation nicht die Ausbildung von Fahrern im Vordergrund, dafür ist das System zu teuer, sondern wird als Entwicklungswerkzeug in der Automobilindustrie eingesetzt. Wesentliche Vorteile ergeben sich durch die schnelle und einfache Datenbeschaffung, den flexiblen und vielfach einsetzbaren Aufbau, gleich bleibende und reproduzierbare Versuchsbedingungen. Die Anwendung des Simulators erstreckt sich auf das Testen von neuen Fahrzeugkomponenten, Bedienelementen und der Untersuchung von Fahrverhalten in sicherheitsrelevanten Situationen. Weitere Themen sind

 

  • Reduzierung von Entwicklungszeiten
  • Bewertung und Abstimmung von Fahrerassistenzsystemen
  • Überprüfung von Sicherheitskonzepten
  • Ergonomieuntersuchungen
  • Handhabungen von Informationssystemen
  • Fahrverhalten  bei Ablenkungen
  • Wahrnehmungsuntersuchungen

 

Um vergleichbare und aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, muss eine Simulation zur realistischen Abbildung der Fahrerfahrung, neben einer visuellen Darstellung, auch die Nachahmung von Fahrzeugbewegungen ermöglichen.

Motion Cueing Algorithmen
Beschleunigungen, die durch Bewegungen des Simulators Kräfte auf den Körper ausüben und so dem Fahrer den Eindruck einer realen Fahrt vermitteln, werden als Motion Cues bezeichnet. Dieser in der Flug- und Fahrsimulation häufig verwendete Begriff, bedeutet soviel wie Bewegungshinweis oder Bewegungsreiz. Analog dazu werden die bewegungserzeugenden Algorithmen, die die Steuersignale für die Plattform generieren als Motion Cueing Algorithmen bezeichnet.   

Die meisten Flugsimulatoren sind entwickelt und optimiert worden, die spezielle Dynamik von Passagierflugzeugen zu simulieren. Beschleunigungen und Bremsmanöver werden in der Regel langsam ausgeführt, ebenso wie das Fliegen um Kurven. Das Fahren eines Fahrzeugs innerhalb von Städten oder auf Landstraßen und Autobahnen produziert jedoch komplett andere Beschleunigungsprofile. Deshalb ist es notwendig, neue Motion Cueing Algorithmen, die auf die besonderen Bedingungen und Anforderungen der Fahrsimulation abgestimmt sind, zu entwickeln.

Die technischen Einschränkungen des Hexapods, welche sich aus einem begrenzten Arbeitsraum und einer limitierten Aktordynamik ergeben, müssen bei der Entwicklung der Motion Cueing Algorithmen ebenso berücksichtigt werden, wie die menschliche Bewegungswahrnehmung. Langanhaltende Beschleunigungen sind durch direkte Darstellung mit dem Hexapod nicht möglich.

Viele Algorithmen basieren daher auf drei grundlegenden Prinzipien, um diesen Nachteil zu umgehen. Das Beschleunigungssignal wird mit einem Frequenzteiler in einen hochfrequenten Anteil und in einen niederfrequenten Anteil aufgespaltet. Danach wird das hochfrequente Signal durch einen Washout gefiltert, was einen Drift erzeugt, der der eigentlichen Bewegung überlagert ist und der die Plattform kontinuierlich in das Zentrum des Arbeitsraumes zurückführt.

 

 

Bild 1: Dynamischer Simulator

Die Tilt-Coordination wandelt das niederfrequente Signal in einen Winkel um, und die Plattform wird entsprechend geneigt. Der Insasse wird daraufhin in seinem relativen, mit der Plattform verbundenen Koordinatensystem, eine Beschleunigung erfahren, die sich aus einer Komponente des Gravitationsvektors ergibt.   

Jedoch werden durch diese signalverändernden Maßnahmen False Cues induziert, die den erwarteten Bewegungen widersprechen. Diese falschen Plattformbeschleunigungen können beim Fahrer die Simulatorkrankheit hervorrufen. Wenn die Bewegung des Fahrzeugs, wie sie in der grafischen Umgebung dargestellt und vom Fahrer als Antwort auf seine Steuerung erwartet wird, nicht mit der erzeugten Beschleunigung der Plattform übereinstimmt, dann ergibt sich der Sensorkonflikt zwischen dem visuellen und dem vestibulären System. Der Körper reagiert darauf mit Schwindel, Desorientierung und Übelkeit, die einer Simulationsfahrt natürlich abträglich sind. Deshalb ist das ein weiterer wichtiger Aspekt, der unbedingt bei der Entwicklung und Parametrierung der Algorithmen berücksichtigt werden muss.      

Projekt: Optimierung des Bewegungsverhaltens des dynamischen Fahrsimulators der BMW Fahrzeugforschung
Es wurden verschiedene Motion Cueing Algorithmen unter Einbeziehung der technischen Randbedingungen und der menschlichen Bewegungswahrnehmung entwickelt. Zur Erprobung stand der neue dynamische Fahrsimulator der BMW Fahrzeugforschung zur Verfügung, auf dem alle Algorithmen implementiert und getestet wurden. Ein Vergleich zwischen den verschiedenen Ansätzen, im Hinblick auf die erzeugte Bewegungscharakteristik der Plattform, gestattete eine Auswahl der für die Fahrsimulation geeigneten Algorithmen.     

Zusätzlich erfolgten Untersuchungen im Kontext der Fahrsimulation zur menschlichen Bewegungswahrnehmung. Dabei wurden Versuche zur optimalen Parametrierung der Algorithmen durchgeführt. Sowohl subjektive als auch objektive Bewertungskriterien kamen zum Einsatz. Am Projektende konnte eine verbesserte fahrdynamische Bewegungsgenerierung für den Fahrsimulator erzielt werden.

Bild 2: Translatorischer Arbeitsraum des Hexapods